Wertewandel im Coworking Space
Anselm Bilgri über Unternehmenskultur, wenn die Mitarbeiter von Unternehmen nur noch online miteinander zu tun haben.
Ich habe noch ein Arbeitszimmer ganz für mich allein mit einem Schreibtsisch nur für mich, und die Tür zu meinen Mitarbeitern mache ich zu, wann immer ich mich auf etwas konzentrieren möchte. Auf diese Kolumne zum Beispiel. Niemand stört mich, aber vielleicht wäre es gut, wenn gerade jetzt jemand einen frischen Impuls für mich hätte?
Je mehr und je rasanter die zunehmende Digitalisierung unsere Arbeitswelt verändert, umso deutlicher wird, dass diese Entwicklung nicht nur enorme Chancen mit sich bringt. Sie ändert auch massiv den beruflichen und privaten Alltag von Millionen Menschen. Ein Trend ist: weg von festen Büros, eigenen Schreibtischen, geschlossenen Abteilungen. Die Stechuhr ist ohnehin schon längst abgeschafft.
Es ist erstaunlich, in einer Zeit, in der wir immer mehr erfahren, dass unsere Arbeit digitalisiert wird, spielen plötzlich alte Werte in neuem Gewand eine Rolle.
Co-Working ist ein Thema sowohl in den Konzernen und außerhalb: zum einen sollen Flächen reduziert und damit Kosten gespart werden, zum anderen wollen Unternehmen die Kreativität fördern, indem sie für Abteilungen projektweise für eine begrenzte oder bestimmte Zeit einen Arbeitsplatz in einem Coworking Space anbieten.
Dieses „neudeutsche“ Wort mit „gemeinsames Großraumbüro“ zu übersetzen wäre aber viel zu kurz gegriffen. Im Coworking Space arbeiten nicht die Angestellten einer einzigen Firma zusammen, sondern im Gegenteil: es ist gewünscht, dass möglichst verschiedene Unternehmen, ja sogar Branchen vertreten sind. Nicht mehr die Werte eines Unternehmens oder eines Selbständigen sind prägend für das Arbeiten sondern, die dort Arbeitenden bilden eine eigene Community, sie sind „Members“ einer kreativen Gemeinschaft mit möglichst vielen unterschiedlichen Arbeits- und Denkansätzen, die von gemeinsamen Werte zusammengeführt werden.
Viele Firmen, die jetzt noch traditionell die Arbeitsplätze im eigenen Haus haben, schicken ihre Leute in Coworking Spaces, weil sie sich davon neue, frische Ideen erhoffen. Eine wichtige Einrichtung dort ist die Cafeteria, wo sich die Members zum zwanglosen Austausch treffen, dabei loten sie, so die Hoffnung, ganz nebenbei mögliche Schnittmengen aus, die zu zündenden Ideen werden könnten.
„Werteorientierung ist die Grundhaltung, aus der heraus ich Unternehmertum denke.“
Viele Coworking Spaces haben ihre Werte ganz konkret definiert. Die am häufigsten genannten sind Offenheit, Kollaboration, Nachhaltigkeit, Gemeinschaft und Zugänglichkeit. Ökologische Nachhaltigkeit versucht man dort zu leben durch die Einrichtung, die Angebote bei Speisen und Getränken; die soziale Nachhaltigkeit wird vor allem durch die Bildung einer Community gefördert. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es viele Members gibt, die ganz einfach einen ruhigen Arbeitsplatz suchen, ohne sich gleich für „ewig“ binden zu wollen. Oft spielen auch neue Geschäftsmodelle eine Rolle wie etwa die Gemeinwohlökonomie, die alternatives Wirtschaften propagiert und sichtbar macht. Es ist erstaunlich, in einer Zeit, in der wir immer mehr erfahren, dass unsere Arbeit digitalisiert wird, spielen plötzlich alte Werte in neuem Gewand eine Rolle. Und noch erstaunlicher, um diese Werte herum wird das unternehmen Coworking Space gebaut. Da fallen so ungewöhnliche Worte wie: „Werteorientierung ist die Grundhaltung, aus der heraus ich Unternehmertum denke.“ Ein Coworking Space, den ich vor kurzem besucht habe, hat sich das Motto gegeben: „enable people to do good“. Wenn das gelebt wird, ist mir um die Zukunft der digitalisierten Arbeit nicht bang.
Und wer weiß: vielleicht miete ich mich demnächst auch ein in einen Space.
Text: Anselm Bilgri; Redaktion Gerd Henghuber