Predigtgedanken von Anselm Bilgri – Weißer Sonntag

Hausgottesdienst in der alt-katholischen Kirche St. Willibord
Weißer Sonntag, 11. April 2021

Lesung 1 Joh 5,1-6      Evangelium Joh 20,19-31

Liebe Brüder und Schwestern!

Liturgie ist nicht nur Memoria – Erinnerung, sondern repraesentatio – Vergegenwärtigung. Dieser Satz ist mir aus der Predigt der Osternacht im Gedächtnis geblieben. Das, was wir in der Heiligen Schrift lesen und hören, lebt fort in den Sakramenten der Kirche, sagt ein Kirchenvater der frühen Christenheit. Also geschieht das, was wir eben gehört haben, vergegenwärtigend jetzt hier bei uns, da wir das Hauptsakrament, die heilige Eucharistie jetzt gemeinsam feiernd vollziehen. Das ist auch der Kern der sogenannten Mysterientheologie des Maria Laacher Benediktiners Odo Casel. Er lebte Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Griechen verwenden das Wort mysterium (Geheimnis) für unser lateinisches sacramentum (Fahneneid), das dem militärisch-juristischen Komplex entstammt.

Das Schlüsselwort, das beide Lesungen verbindet, scheint mir das Verbum „kommen“, bzw. in der Form „er kam“ oder „er ist gekommen“. Obwohl die Türen verschlossen waren, kam Jesus, so haben wir im Evangelium zweimal gehört, nämlich am ersten und am achten Tag, dem Tag, den wir germanisch geprägten Kulturen Sonntag, Sunday, die Romanen aber Herrentag, domenica, dimanche nennen. „Ohne Herrenmahl am Herrentag können wir nicht leben“, so haben es die Märtyrer von Abitina im Jahr 304 in der Verfolgung des Kaisers Diokletian unter der Folter gestanden. Die Bedeutung des Sonntags als dem Urfeiertag des Christentums, als Tage der Begegnung mit dem Auferstandenen, wird auch noch unterstrichen durch die Formulierung aus der Lesung: Jesus Christus ist durch Wasser und Blut gekommen. Wir erinnern uns an die Johannes-Passion, als aus der geöffneten Seite Jesu Blut und Wasser herausflossen. Beide Flüssigkeiten stehen symbolisch für die Hauptsakramente, Taufe und Eucharistie. Wobei uns die Exegeten sagen, dass in der Gemeinde des Johannes, dem traditionell überlieferten Namen des vierten Evangelisten, wahrscheinlich auch die Fußwaschung als Sakrament regelmäßig praktiziert wurde und damit das Wasser auch daran erinnert. Johannes ersetzt ja bei der Schilderung des Letzten Abendmahles die Deuteworte über Brot und Wein durch die Fußwaschung. Sie galt bis zur Definition der Siebenzahl der Sakramente in der scholastischen Theologie des Hochmittelalters vielerorts tatsächlich als ein Sakrament. Sie spielt auch in der Benediktsregel eine wichtige Rolle. Wenn Gäste ins Kloster kommen, soll ihnen der Abt entgegengehen und ihnen die Füße waschen. Übriggeblieben davon ist in vielen Klöstern der französischen Tradition wenigstens eine symbolische Händewaschung, die der Abt vor dem Eingang zum Speisesaal persönlich vornimmt.

Das ist auch die Symphonie, die Synopse (Zusammenschau und Zusammenklang) des heutigen Sonntags: Für uns gilt er als weiterer Tag der Erinnerung an die eigene Taufe, als für uns das Wasser aus der Seite Jesu geflossen ist. Eine Woche lang sind bekanntlich die Neugetauften in ihren weißen Taufkleidern in den Gottesdienst gekommen, in denen ihnen die mysterien des christlichen Glaubens und Feierns erklärt wurden. Zum letzten Mal am achten Tag nach ihrer Aufnahme in die Kirche Christi, bei der sie gesalbt wurden zu Priestern, Königen und Propheten und zum ersten Mal zum Tisch des Herrn herantreten durften. Daher haben im Jahr 1661 die Jesuiten hier in München zum ersten Mal die gemeinsame Erstkommunionfeier auf diesen Tag gelegt und den Mädchen weiße Kleider anziehen lassen. Vielleicht sind einige unter uns oder zuhause an den Bildschirmen, die am Weißen Sonntag Erstkommunion hatten. Bei mir war es so, hier in München in St. Wolfgang, allerdings nicht bei Jesuiten sondern den Salesianern Don Boscos. In den evangelischen Kirchen wird der erste Empfang des Abendmahls in Verbindung mit der Konfirmation viel intensiver erinnert als bei uns Katholiken. Der Empfang der Eucharistie ist die lebendige Fortführung der Taufe „mit anderen Mitteln“. In der Taufe wurden wir eingefügt in den lebendigen Leib Christi, der Kirche. In der Eucharistie empfangen wir den Leib und zu normalen Zeiten das Blut Christi. Im Brechen des Brotes, so ein altkirchlicher Ausdruck für die Eucharistie und im Kommunionempfang begegnen wir dem Herrn, der durch die verschlossenen Türen unserer Vernünftelei geheimnisvoll zu uns kommt. Den schönsten Ausdruck findet dieser Zusammenhang in dem Wort, das ich in unserer Gemeinde nach der Kommunion: Bleiben wir, was wir empfangen haben: Leib Christi.

Thomas, der Zweifler, wird gerade dadurch überzeugt, Christus vor sich zu haben, weil er seine Hand in die offene Seite des Herrn legen darf, eben jene Seite, die voller Symbolik für die beiden Hauptsakramente Taufe und Eucharistie steckt. Damit steht er auf einer Linie mit den Emmausjüngern bei Lukas, die den Herrn erst erkannten, als er mit ihnen das Brot brach. Wir sind damit gemeint. Wir sind die Jüngerinnen und Jünger, denen die Augen aufgehen sollen bei der Begegnung im Sakrament und das Herz entzündet, wenn wir die Erzählungen der Bibel hören.

Brennende Herzen können sich dann auch hinabbeugen zu den Füßen der anderen und an ihnen den Sklavendienst der antiken Willkommenskultur vollziehen. Der frühere Erfurter Bischof Joachim Wanke nennt die Fußwaschung das „Sakrament vor der Kirchentür“. Er meint damit: Wo Menschen einander in Ehrfurcht und Demut die Füße waschen, wo sie sozial-caritativ füreinander da sind, da leben sie bereits das Sakrament der Eucharistischen Gemeinschaft, sie leben es eben vor der Kirchentür. Das ist doch der tiefste Sinn der wöchentlichen Feier von Tod und Auferstehung Christi: das wir gestärkt durch sein Wort und sein Sakrament immer wieder neu befähigt werden, sein Wort in unserem Leben Fleisch werden zu lassen.

 

Anselm Bilgri zum Weißer Sonntag, 11. April 2021 – Prediktgedanken

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