Mehr Emotionen, bitte!
Immer wieder hört man jammern über die wachsende Politikverdrossenheit der Bürger. Das ist auch abzulesen an der abnehmenden Wahlbeteiligung, die allerdings immer noch höher ist als in den sogenannten Ursprungsländern der modernen Demokratie wie den USA oder der Schweiz. Woran das liegt? Mit Antworten ist man schnell bei der Hand. Eine der Standardantworten lautet, die mangelnde Authentizität der Politiker sei zu erheblichem Teil daran schuld. Sie trügen eine Maske vor sich her, die mehr oder weniger deutlich zeige, wie wenig sie letztlich das Thema persönlich berührt, über das sie sich gerade in einer der zahlreichen Talk-Shows aufs heftigste echauffieren. Zugegeben, unsere Medienwelt zwingt sie auch, zu allem und jedem Stellung zu nehmen. Da kann es nicht ausbleiben, zu vorgestanzten Rede-Versatzstücken zu greifen und die allgemeine Erregungs-Attitüde überzustülpen.
Nun zeigt einer mal sein Gesicht, dann ist es auch wieder nicht recht. Man kann sich gut vorstellen, wie an den Stammtischen über die niedergekämpften Tränen von Peer Steinbrück hergezogen wurde: „So einer will ein 80 Millionen Volk führen!“ Seine Frau hatte vor dem Parteikonvent in einem Doppelinterview mit ihrem Mann zusammen über die Belastungen der Kanzlerkandidatur für die ganze Familie gesprochen. Bei Steinbrück brachen wohl alle Dämme mit denen er sich gegen die Häme wappnen musste, angesichts der vielen Fettnäpfchen, in die er zweifelsohne auch getreten war. All das Wegschieben, den harten Kerl mimen, den Draufhauer spielen – mit einem Moment war es gewichen. Dem Bild eines Menschen, der leidet wie ein Hund. Und zwar echt – und nicht vor sich hergetragen wie einst Edmund Stoiber.
Solche Momente des Lüpfens von Profi-Polit-Masken bräuchte es öfter. Dann würden wir Wahlbürger in unseren Volksvertretern die Menschen erkennen, die unsere menschlichen Anliegen in professionelle Politik umsetzen sollen. Mir wäre nicht bang, wenn so jemand sich anschickt, ein 80 Millionen Volk zu führen – gleich welcher der demokratischen Parteien er angehört.