Interview mit Wolfgang Stefinger: Chancen und Risiken der Digitalisierung gleichermaßen in den Blick nehmen
Anselm Bilgri hat letzte Woche bei einer Veranstaltung des Münchner Bundestagsabgeordneten Wolfgang Stefinger darüber diskutiert, wie Deutschland im Zuge der Digitalisierung fit gemacht werden kann für die Zukunft. Der CSU-Kandidat für den Wahlkreis München-Ost bei der kommenden Bundestagswahl hat im Interview mit www.anselm-bilgri.de, seine Position noch einmal erläutert.
Was ist für Sie die wichtigste Veränderung, die Wirtschaft 4.0 mit sich bringen wird?
Eine der wichtigsten Veränderungen ist sicherlich die rasante Beschleunigung von Innovationsprozessen. Innovationszyklen werden immer kürzer. Die Digitalisierung krempelt komplette Branchen um. Das erfordert vom Menschen ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Spitzentechnologien wie Internet, Smart Data (intelligente Auswertung großer Datenmengen), Robotik, 3D-Druck, Mikroelektronik und Nanotechnologie vermischen sich und ermöglichen eine Vielzahl neuer Anwendungen. Davon können Gesellschaft, Staat und Wirtschaft enorm profitieren. Vieles, was heute noch in Papierform oder aufwändig mit Handarbeit erledigt wird, läuft künftig weitgehend elektronisch und nahezu in Echtzeit. Reale und virtuelle Welt verschmelzen zu einem Internet der Dinge.
Was sind dabei die Chancen, was die Risiken?
Die Digitalisierung bietet immense Chancen für nahezu alle Lebensbereiche. Fast jeder von uns verfügt über ein Smartphone oder Tablet, kauft über das Internet ein, nutzt Streaming-Dienste zum Filme schauen, kann sich umfassend über das Geschehen in allen Teilen der Welt informieren, bucht online seine Reisen oder erledigt im Netz sogar seine Bankgeschäfte und Behördengänge. Rund um die Uhr, fast von überall. Im Bereich der Wirtschaft ermöglicht die Digitalisierung eine schnellere, effizientere, präzisere und auf die individuellen Kundenbedürfnisse zugeschnittene Fertigung. Und intelligente Maschinen können Arbeiten übernehmen, die für Menschen gefährlich sind. xxx
Auch in vielen anderen Bereichen, etwa bei Bildung, Forschung und Gesundheit, profitieren Menschen enorm vom Vormarsch der Digitaltechnik. Dank der Telemedizin werden ganz neue Formen der Patientenbehandlung möglich.
Mit zunehmendem Digitalisierungs- und Vernetzungsgrad steigt allerdings auch die Verwundbarkeit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Das zeigen die immer zahlreicher und raffinierter werdende Angriffe auf IT-Systeme auf Unternehmen und kritische Infrastrukturen. Bis 2020 werden allein in Deutschland rund 770 Millionen Geräte vernetzt sein. Derzeit gibt es weltweit ca. 8,4 Milliarden vernetzte Geräte, 2020 könnte die Zahl sogar auf 20,4 Milliarden steigen. Jeden Tag werden abertausende neue Schadprogramme entdeckt, kommen gezielt hochentwickelte Cyberwaffen zum Einsatz, sei es durch Hacker, die einfach nur den Kick suchen, oder durch Kriminelle, Terroristen und staatliche Akteure wie Nachrichtendienste und Streitkräfte, die massive wirtschaftliche oder physische Schäden verursachen können. Auch der Deutsche Bundestag musste 2015 erleben, was es heißt, von digitalen Eindringlingen heimgesucht zu werden. Dabei flossen mehrere Gigabyte Daten nach außen. Cybersicherheit ist daher essentiell. Die Stärkung der deutschen und europäischen Cybersicherheitsarchitekturen und die Entwicklung modernster Sicherheitstechnologien und -konzepte gehört daher zu den wichtigsten Herausforderungen. Ich begrüße es daher sehr, dass die Bundeswehr in München-Neubiberg ein großes und hochmodernes Forschungszentrum für Cybersicherheit aufbaut und die Bundesregierung umfangreiche Mittel zur Stärkung der IT-Sicherheit bereitgestellt hat.
Auch der Datenschutz steht vor großen Herausforderungen. Digitale Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts, denn sie ermöglichen Unternehmen völlig neue Geschäftsmodelle und eröffnen Menschen nie dagewesene Serviceleistungen. Doch wem gehören im digitalen Zeitalter meine Daten, was passiert mit ihnen? Gibt es in einer globalisierten und digitalisierten Welt noch so etwas wie den Datenschutz oder ist er „obsolet“ geworden, wie einige IT-Pioniere es lauthals verkündet haben? Aus meiner Sicht kann es keine digitale Enteignung geben. Wir brauchen eine angemessene Balance von Datenschutz und Innovationsfähigkeit. Die Bürger sollten sich aber auch selbst stärker mit Datenschutzfragen auseinandersetzen und genau überlegen, welche Daten sie im Internet preisgeben wollen.
Eine weitere Dimension erlangt das Thema mit der zunehmenden Anwendung von Künstlicher Intelligenz, die Computer zu nie dagewesenen Leistungen befähigt und vernetzte Systeme in die Lage versetzt, autonom Entscheidungen zu treffen. Hier stellen sich grundlegende ethische Fragen. Aus meiner Sicht dürfen wir zentrale Entscheidungen keinesfalls Maschinen und Computern überlassen. Hier müssen wir klare Grenzen definieren und auch international Konsens herstellen.
Was bedeutet Wirtschaft 4.0 für die Arbeitnehmer?
Die Geschichte hat gezeigt: Technologische Neuerungen haben stets auch Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Manche Berufe werden an Bedeutung verlieren oder sogar wegfallen, neue Berufe und Arbeitsformen und -modelle entstehen. Auf diesen Wandel müssen sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft rechtzeitig einstellen. Man kann sich dem Fortschritt nicht verweigern, sonst können wir im internationalen Wettbewerb nicht bestehen und zerstören mittel- bis langfristig die Grundlage unseres Wohlstandes. Doch halte ich es für unser Pflicht, den digitalen Wandel menschlich gestalten. Wir müssen unser Bildungssystem, vor allem auch die Aus- und Weiterbildung an die Erfordernisse der digitalen Welt anpassen. Dabei müssen wir insbesondere auch die Geringqualifizierten im Blick behalten. Menschen dürfen nicht das Gefühl haben, von der Digitalisierung abgehängt zu werden. Im Rahmen des Programms „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ lässt die Bundesregierung die Auswirkungen auf den Menschen und die Gesellschaft intensiv erforschen. Für das bis 2020 laufende Programm stehen insgesamt ca. 1 Milliarde Euro bereit.
Welche Bedeutung haben in diesem Veränderungsprozess Werte?
Die Digitalisierung hat nicht nur eine technologische Komponente, sondern auch eine menschliche. Sie hat weitreichende Auswirkungen auf die Arbeitswelt und auch auf unser Miteinander. Für mich ist klar: Im Mittelpunkt muss stets der Mensch stehen. Bei aller Begeisterung für Innovationen: wir sollten sie stets auch kritisch hinterfragen. Die Digitalisierung kann maßgeblich zu einer besseren, gesünderen, familienfreundlicheren und „demografiefesteren“ Arbeitswelt beitragen. Ich fände es aber schrecklich in einer Welt zu leben, die von Maschinen beherrscht und ausschließlich von ökonomischen Nutzenerwägungen regiert wird.
(Interview: Gerd Henghuber)