Herzensbildung – heute wichtiger denn je !
Mein Buch „Herzensbildung“ wurde vom PIPER-Verlag neu aufgelegt. Das freut mich sehr und zeigt, wie sehr es gerade in Zeiten der umfassenden Ökonomisierung und Digitalisierung auf die Wiederentdeckung unserer inneren Werte ankommt. Erfolgreich in Management und Führungsverantwortung ist nur der, der auch die nicht unmittelbar messbaren Bildungsinhalte schätzt, beachtet und fördert. Bei sich und bei anderen.
Wir leben in einer Welt der Zahlen und Formeln, Zeit ist Geld, Erfolg rein materiell. Im Angesicht der Krise wird deutlich, welchen monströsen Götzen wir opfern.
Es ist wichtig, dass wir uns in unserer Wissens- und Informationsgesellschaft an ein anderes Bildungsideal erinnern: die Herzensbildung.
Im Vordergrund stehen die sozialen, emotionalen, kommunikativen, religiösen und künstlerischen Fähigkeiten des Menschen. Herzensbildung ist nicht unmittelbar zweckgerichtet, sondern zielt auf die Entfaltung von Persönlichkeit und die Formung unseres Wesens. Sodass das, was die alten Philosophen unter Glückseligkeit verstehen, überhaupt erst möglich wird.
LIEBE für die Ego-Gesellschaft
Allenthalben ist heute von der Wissensgesellschaft die Rede, gar von der Informationsgesellschaft. Gemeint ist, dass das Wissen bzw. die Wissenschaft – und hier besonders die Naturwissenschaft – zu einer bestimmenden Leitfigur unseres modernen Lebens geworden ist. Durch die rasante Entwicklung der Informationstechnologie steht uns zu jeder Zeit jegliche Form und Menge an Information zur Verfügung. Wissen ist Macht, heißt es.
Gemeint ist in der modernen Gesellschaft damit wohl: Durch die Vermehrung von Informationen wird ein Zugang zu Machtstrukturen überhaupt erst ermöglicht. Damit aber erliegt die moderne Gesellschaft einem gravierenden Denkfehler. Denn sie setzt die überbordende Fülle an Information mit der Zunahme von Wissen gleich. Dazu kommt, dass durch die Überbetonung des intellektuellen Wissens kaum noch Raum bleibt für emotionale und soziale Intelligenz.
DEMUT für die Dominanzgesellschaft
Bildung wird demgemäß nicht mehr als geistiger Prozess verstanden, der den Menschen zu Selbstständigkeit und Freiheit, zu einer Wahrnehmung des Kulturellen und Ästhetischen befähigt, sondern nur noch als ökonomischer und sozialer Faktor in der Kategorie des Nützlichen.
Der Grundstein dafür wird bereits in der Primärstufe des Bildungsweges gelegt. Durch zunehmende Spezialisierung und gezielte Förderung der technischen und naturwissenschaftlichen Ausbildung soll schon hier den ökonomischen Bedürfnissen unserer Gesellschaft, der Wirtschaft und des Staates Rechnung getragen werden. Wirtschaft und Technik als angewandte Naturwissenschaft werden auf diese Weise zu bestimmenden Faktoren auch hinsichtlich unseres gesellschaftlichen Bildungs- und Erziehungsideals.Eine gravierende Verschiebung unserer Werteskala ist damit unausweichlich.
Der moderne Bildungskanon hält nicht mehr die Instrumente bereit, mit deren Hilfe wir ein gutes und angemessenes Leben in Balance mit uns selbst, den Mitmenschen und der Umwelt führen können (die Glückseligkeit der alten Philosophen), sondern ist gekennzeichnet durch eine Einseitigkeit, die die einzelnen Elemente zu monströsen, alles bestimmenden Götzen unserer modernen Welt mutieren lässt. Eine Welt, die von Zahlen, Formeln, knapper Zeit und Gier nach Materiellem geprägt zu sein scheint.
ACHTSAMKEIT und GEWISSENHAFTIGKEIT für die oberflächliche Gesellschaft
Ich denke, das eigentliche Problem unserer historischen Situation ist das Ungleichgewicht zwischen dem ungeheuren rapiden Anwachsen dessen, was wir technisch können, und unserem moralischen Vermögen, das nicht mitgewachsen ist.
Bildung muss deshalb zwei Dimensionen haben: Zunächst einmal müssen wir natürlich etwas lernen: Wissen, Können erwerben, Know-how, wie man so schön sagt. Aber wir brauchen zwei Dimensionen, es muss die Bildung des Herzens mit dazukommen, durch die der Mensch Maßstäbe gewinnt und dann auch seine Technik richtig gebrauchen lernt.
WERTE für die haltlose Gesellschaft
Ein Grund, warum die Herzensbildung als Fundament jeglicher anderen Bildung und Erziehung in unserer modernen Gesellschaft zu kurz kommt, mag mit einem eigenartigen Phänomen zusammenhängen: dem Paradoxon vom Zweck der Zweckfreiheit.
Das Aneignen von Zahlen, Daten, Fakten im üblichen Lern- und Lehrbetrieb unserer Ausbildungsstätten hat den unmittelbar einsichtigen Zweck, Informationen, Wissen, im besten Falle Bildung zu speichern. Darauf sollen später weitere – zumeist faktenlastige – Bildungsinhalte aufbauen, die während des folgenden beruflichen Werdegangs abgerufen werden können. Dieses Wissen, diese Form der Bildung ist messbar.
LEBENSFREUDE für die Angstgesellschaft
Die Herzensbildung ist dagegen nicht so leicht zu fassen und zu beschreiben. Sie wird durch keine unmittelbar kontrollierbare Datenmenge umschrieben, man kann ihrer nicht richtig habhaft werden, sie ist ein flüchtig’ Ding. Sie kann und darf nicht verzweckt werden, und dennoch ist ein Mensch nur dann richtig Mensch, um ein Wort von Schiller abzuwandeln, wenn er Herzensbildung besitzt. Nur: wie sie erlangen?
VERTRAUEN für die kontrollierte Gesellschaft
Wenn ich mit meinen Freunden über das Thema dieses Buches spreche, höre ich oft den Einwand: »Herzensbildung kann man nicht lernen, die hat man oder hat man nicht.« Hier wird vielleicht zu sehr von der Erfahrung mit erwachsenen, in ihren Verhaltensweisen schon festgefahrenen Menschen ausgegangen.
Mein Plädoyer zielt ja gerade darauf ab, die Herzensbildung mit der Wissensvermittlung bei jungen Menschen zu verbinden. Schließlich scheint es ja auch in der Vergangenheit gelungen zu sein, den Menschen in ihrer Entwicklung ein weites und sensibles Herz mitzugeben, das ihnen das Leben mit anderen und das Meistern der eigenen Unzulänglichkeiten erleichtert und sie die Anwendung des erworbenen Wissens mit dem rechten Augenmaß gelehrt hat.
GELASSENHEIT für die Erregungsgesellschaft
Mag der Begriff Herzensbildung etwas Überzeitliches, Dauerhaftes, Nachhaltiges evozieren, so geht es doch um den konkreten Menschen, dessen Herz, dessen Innerstes, dessen Persönlichkeit gebildet und gefördert werden soll: Emotionale und soziale Intelligenz.
Eine gravierende Verschiebung unserer Werteskala ist damit unausweichlich.